Das Leipziger Freiflächenkonzept Legales Feiern unter freiem Himmel

Wer bislang eine Veranstaltung auf einer städtischen Grünfläche durchführen wollte, musste zunächst einen Antrag auf Sondernutzung beim Amt für Stadtgrün und Gewässer stellen. Nach außen hin unklare Zuständigkeiten, Rahmenbedingungen und Auflagen machten eine ehrenamtliche Organisation nichtkommerzieller Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel nur unter langem zeitlichen Vorlauf und hohem Finanzeinsatz aufgrund notwendiger externer Gutachten möglich. Neben den allgemeinen Rahmenbedingungen konnte die Stadt Leipzig viele Jahre lang auch keine öffentlichen Grünflächen benennen, auf denen solche Veranstaltungsformate durchgeführt werden könnten und keine Aussage dazu treffen, in welchen Zeiträumen welche Formate gestattungsfähig sein könnten. Da häufig Anträge im Ergebnis abgelehnt wurden oder ihre Bearbeitungszeit so lange dauerte, dass der Zeitpunkt für die geplante Veranstaltung nicht mehr zu halten war, entstand erheblicher Frust bei den nichtkommerziellen Veranstaltenden.

Das Leipziger Freiflächenkonzept beinhaltet fünf Elemente:

  • elf vordefinierte Flächen

  • elf Flächensteckbriefe

  • elf Schallimmissionsprognosen

  • eine Website

  • ein Online-Antragsformular

Auf der zentralen Homepage werden alle Informationen zur Planung, Beantragung und Durchführung einer nichtkommerziellen Open-Air-Veranstaltung auf elf städtischen Grünflächen zusammengefasst. Für jede Fläche wurde auf Kosten der Stadtverwaltung eine Schallimmissionsprognose angefertigt und zum kostenlosen Download zur Verfügung gestellt. Für eine reibungsarme Planung der Veranstaltung wurde ein umfangreicher FAQ-Katalog erarbeitet. Für den Antrag steht ein komplett online-basiertes Formular zur Verfügung, welches weitere Hinweise enthält. Für sämtliche Flächen liegt inzwischen eine naturschutzrechtliche Vorabgestattung vor. Anträge bei der Immissionsschutzbehörde sind nun nur noch erforderlich, wenn so genannte „Seltene Ereignisse“ durchgeführt werden sollen.

Was uns das Freiflächenkonzept bringt

Transparenz: Sämtliche relevante Informationen sind für die Antragsstellenden auf einen Blick erkennbar. Welche Art der Veranstaltung ist an welcher Stelle mit welchen Auflagen und zu welchen Kosten genehmigungsfähig? 

Geschwindigkeit: Da sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen im Vorfeld der Veröffentlichung auf der Website geprüft wurden, kann, mit Ausnahme von sog. „Seltenen Ereignissen“, die Genehmigung sehr zügig erteilt werden, wenn alle Voraussetzungen dafür vorliegen.

Verbindlichkeit: Für alle Seiten (Behörden, Veranstaltende, Anwohnende) besteht aufgrund der klaren Rahmenbedingungen mehr Verlässlichkeit in der Durchführung bzw. Begleitung der Veranstaltungen.

Vertrauen: Aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und den beteiligten Akteur*innen aus der Kultur- und Clubszene ist Vertrauen in die Verwaltung gestiegen, den Bürger*innen Entfaltungsmöglichkeiten in ihrer Stadt anzubieten.

Einbindung der NutzerInnen

Es wurde ein Runder Tisch „Nachtkultur“ gebildet. Zu seiner Konstituierung erfolgte verwaltungsintern eine Abfrage bei den thematisch berührten Behörden. In der Kulturszene wurden verschiedene Interessenvertretungen angeschrieben. Es wurden verschiedene Arbeitsgruppen zur Zusammenarbeit diverser Stakeholder gegründet:

  1. Orte (VAK-Kollektive, LiveKommbinat, Amt für Stadtgrün und Gewässer, Amt für Umweltschutz, Liegenschaftsamt) 

  2. Schallimmissionsprognosen (Amt für Stadtgrün und Gewässer, Amt für Umweltschutz, Amt für Wirtschaftsförderung, Kulturamt, VAK-Kollektive, LiveKommbinat)

  3. Steckbriefe (Amt für Stadtgrün und Gewässer, Ordnungsamt, Stadtreinigung, Amt für Geoinformation, Amt für Bauordnung und Denkmalschutz, Amt für Umweltschutz)

  4. FAQs (Kulturamt, VAK-Kollektive, LiveKommbinat)

  5. Online-Formular (Kulturamt, Amt für Stadtgrün und Gewässer)

  6. Homepage (Amt für Stadtgrün und Gewässer, Amt für Geoinformation, Kulturamt).

 

 

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Initiierende Stelle:
Stadt Leipzig, Amt für Stadtgrün und Gewässer 

Umgesetzt für:
Elf städtische Grünflächen der Stadt Leipzig

Ebene:
Kommune


Team:
Dr. Christiane von Rintelen

Projektleitung, Amt für Stadtgrün und Gewässer

Nils Fischer

Co-Projektleitung, Kulturamt

Jens Ulrich

Sachgebietsleiter Grünanlagenbewirtschaftung, Amt für Stadtgrün und Gewässer

Cornelia Dörr

Sachgebietsleiterin Allgemeine Verwaltung, Amt für Stadtgrün und Gewässer

Manuela Temp

DV-Koordinatorin, Amt für Stadtgrün und Gewässer

Sabine Wolf

Sachbearbeiterin Veranstaltungsgenehmigung, Amt für Stadtgrün und Gewässer

Philipp Körner

Leiter Untere Naturschutzbehörde, Amt für Umweltschutz

Dagmar Köhler

Sachbearbeiterin Untere Immissionsschutzbehörde, Amt für Umweltschutz 

Jens Weinert

Sachgebietsleiter Geodatenvisualisierung, Amt für Geoinformation und Bodenordnung

Björg Köber

Eigenbetrieb Stadtreinigung Leipzig

Elisabeth Hauck

Kontaktstelle Kreativwirtschaft, Amt für Wirtschaftsförderung

Peter Reinert

Sachgebietsleiter Versammlungs- und Veranstaltungsbehörde, Ordnungsamt

Michael Ziegenhorn

VAK. Leipziger Kollektive

Moritz Bück

VAK. Leipziger Kollektive

Steffen Thieme

Freier Veranstalter

Dirk Grundke

GAF - Gesellschaft für Akustik und Fahrzeugmeßwesen mbH; Erstellung Schallimmissionsprognosen

Beteiligte Disziplinen:
Verwaltungswissenschaften, Rechtswissenschaften, Kulturwissenschaft, Geowissenschaften, Ökologie, Informatik, Akustik, Schallschutz, Kartografie, Veranstaltungstechnik

 

Dauer:
Von der Beschlussfassung des Stadtrats bis zum Start des Pilotjahres vergingen elf Monate (Juni 2021 bis Mai 2022). Es folgte eine Pilot-Saison in 2022. Mitte 2023 erfolgte das zweite Website-Release. Das Projekt läuft noch und wird stetig weiterentwickelt (z. B. Prüfung weiterer Flächen, vereinfachte Darstellung Steckbriefe).

Budget:
Für ca. 26.000 Euro wurden die ersten elf Schallimmissionsprognosen extern beauftragt. Die übrigen IT-Dienstleistungen wurden inhouse abgewickelt.

 

 

Nachgefragt bei Christiane von Rintelen und Nils Fischer


Was genau hat den Anstoß zur Umsetzung gegeben?
Nils Fischer: Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen, also die temporäre Schließung von Veranstaltungsstätten und das Verlagern von Kultur in den Außenraum, haben dem seit vielen Jahren von Leipziger ehrenamtlichen Kulturkollektiven vorgetragenen Wunsch nach definierten Flächen für nichtkommerzielle Open-Airs und deren konkreter Flächenvorschläge Nachdruck verliehen. Im Sommer 2021 hat die Leipziger Ratsversammlung dann den Beschluss gefasst, dass die Verwaltung solche Flächen im öffentlichen Raum benennen soll.

Was ist Ihre größte Errungenschaft?

Christiane von Rintelen: Dass es gelungen ist, die Verwaltung nach außen verständlicher zu machen und sich die beteiligten Behörden gemeinsam auf Verabredungen geeinigt haben sowie ressortübergreifend handlungsfähig wurden.

Nils Fischer: Wir konnten mit diesem Ansatz einen vertrauensvollen Austausch mit den Vertreter*innen der Leipziger Kulturszene kommen und positives Feedback erhalten. Mit dem Projekt gelingt es uns, kulturelle Flächennutzungen zu ermöglichen und dabei transparent Nutzungskonflikte zu moderieren und auch neue Veranstaltungsformate in Leipzig zu etablieren. 

Christiane von Rintelen: Wir freuen uns, dass unser Modell für andere Ämter innerhalb der Stadt Leipzig und viele Kommunen bundesweit, die allesamt vor der gleichen Herausforderung der barrierearmen Legalisierung öffentlicher Flächen für Open-Air-Kulturveranstaltungen (insb. elektronischer Musik) stehen, ein interessantes Vorbild ist und viel positives bundesweites Feedback erhält. Das ermutigt uns zum Weitermachen.

Wie stellen Sie ihr (erlerntes) Wissen zu Innovationsprozessen anderen zur Verfügung?
Nils Fischer: Einerseits stellen wir die ganzen Infos auf der Homepage
www.leipzig.de/open-airs/ allen Interessierten zur Verfügung. Andererseits stehen wir jederzeit für Rücksprachen zur Verfügung und sind sehr gern bereit, Kolleginnen und Kollegen bei vergleichbaren Projekten zu beraten.
Christiane von Rintelen: Darüber hinaus sind wir Einladungen verschiedener Kommunen oder Fachverbänden gefolgt, die uns gebeten haben, unseren Ansatz bei ihnen vor Ort vorzustellen. Dies diente dann häufig als Diskussionsgrundlage für eigene Projekte.

Was war die größte (unerwartete) Herausforderung?
Christiane von Rintelen: Das war tatsächlich die Vorbehalte aus den eigenen Reihen. Es gab Stimmen wie: „Zu laut!“, „Die Flächen werden zerstört.“, „Was ist mit dem Denkmalschutz?“, „Die Wiederverwendbarkeit von Schallimmissionsprognosen funktioniert nicht, sonst hätten wir das längst so gemacht.“ Dass das alles doch geht, beweisen wir und die Veranstaltenden in 95 % der Fälle aber.

Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Nils Fischer: Wir hätten die ersten Veranstaltungen, die nach diesem Format stattfanden, enger begleiten, um schneller nötige Anpassungen im Beantragungsformular, der Nutzungsentgeltgestaltung, der Müll-Regelungen und der Lautstärkekontrollen vornehmen zu können. 

Welchen Vorgang gehen Sie als nächstes an?
Nils Fischer: Wir wollen die bisher untersuchten Flächen um weitere Flächen, auf denen auch Nutzungen nach 22 Uhr möglich sein sollten, ergänzen, um einer Hauptforderung von Seiten der Veranstaltenden nach der Möglichkeit von späteren Veranstaltungsformaten nachzukommen.
Christiane von Rintelen: Weiterhin gibt es derzeit Überlegungen in der Stadt Leipzig, wie das Veranstaltungsgeschehen über den Bereich der Open-Air-Veranstaltungen hinaus besser – also bürgerfreundlicher, schneller, verbindlicher, einfacher – gestaltet werden kann. Dabei könnte in Bezug auf das Antragsverfahren schon sehr viel von den Open-Airs übernommen werden. Auch das Konzept der Wiederverwendbarkeit von Prüfungsergebnissen ist grundsätzlich auch auf andere Sachverhalte übertragbar.   

Was würden Sie anderen Behörden raten, die sich aufmachen einen ähnlichen Prozess wie Sie anzugehen?
Christiane von Rintelen: Wenn der Sachverhalt es hergibt, lohnt es sich die Frage zu stellen: was würde mich als Bürger beeindrucken. Ein schickes Formular? Die Auffindbarkeit einer Telefonnummer einer Ansprechperson, die auch rangeht? Gut visualisierte Informationen? Kann ich alles am Handy erledigen? Naja, und dann den Prozess vom Ergebnis her ausgestalten. From the scratch – zur Not.
Nils Fischer: Und holen Sie beteiligten Behörden sowie die „Betroffenen“ an einen Tisch und hören Sie als Verwaltung erst mal zu, was Wünsche, Hürden und Grenzen sind. Wenn alle, die sonst eher nicht direkt moderiert miteinander sprechen, ins Gespräch kommen, zeigt sich, dass die Gräben meist doch weniger tief sind als allerseits erwartet.

Glauben Sie, dass das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis mit anderen Mitteln hätte erreicht werden können? Mit welchen?
Christiane von Rintelen: Im konkreten Fall nicht, nein. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass es nicht gelungen wäre, alle abzuholen, wenn wir bspw. allein externen Beratern die Moderation überlassen hätten.

Welche neuen Kompetenzen wurden eventuell erlernt und welche neuen Kompetenzen benötigt „Verwaltung“ in der Zukunft?
Nils Fischer: Die Verwaltung der Zukunft muss viel mehr bereichsübergreifend zusammenarbeiten als dies bisher oft der Fall ist. Thematische Schnittstellenpositionen wie meine, die die beteiligten Fachexpert*innen an einen Tisch bringen, sind hierfür ein gutes Instrument.
Christiane von Rintelen: Vor allem IT-Kompetenzen. Ich glaube, dass die Verwaltung sich stärker damit beschäftigen muss, ihre Servicedienstleistungen ansprechender zu gestalten und ihre IT-Auftritte an die Anforderungen der Generation User anzupassen, die ein Programm einfach deinstallieren, wenn es nicht intuitiv zu bedienen ist, und zu einer Alternative wechseln.

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